Schrittmechanik beim Gehen
Evidenzbasierte Biomechanik des menschlichen Gangs
Gehen ist eine komplexe neuromuskuläre Aktivität. Wer die Mechanik versteht, optimiert Effizienz, reduziert Verletzungsrisiken und verbessert Leistung – vom normalen Gehen bis zur Technik des Wettkampfgehens.
Der Gehzyklus
Ein kompletter Zyklus reicht von Fersenaufsatz bis zum nächsten Fersenaufsatz desselben Fußes. Im Gegensatz zum Laufen besteht durchgehender Bodenkontakt mit charakteristischer Doppelstützphase.
| Phase | % Zyklus | Schlüsselereignisse |
|---|---|---|
| Standphase | 60 % | Fuß am Boden |
| Schwungphase | 40 % | Fuß in der Luft |
| Doppelstütz | ~20 % | Beide Füße am Boden |
Standphase (60 %) – 5 Unterphasen
- Initialkontakt (Ferse): Ferse bei ~10° Dorsalflexion, Knie ~175–180°, Hüftflex ~30°, erste Kraftspitze ~110 % KG
- Belastungsantwort (Fuß flach): Vollkontakt in ~50 ms, Gewicht Ferse→Mittelfuß, Knieflex 15–20°, Knöchel in Plantarflexion
- Mittelstand: Körperschwerpunkt über Standbein, Tibia vorschiebt, Knöchel dorsalflektiert, Kraftminimum 80–90 % KG
- Terminalstand (Fersenanhebung): Gewicht Vorfuß/Zehen, Plantarflexion beginnt, Hüftextension 10–15°
- Vorschwung (Abstoß): Endschub vom Vorfuß, zweite Kraftspitze 110–120 % KG, schnelle Plantarflexion
Schwungphase (40 %) – 3 Unterphasen
- Initialschwung: Zehen ab, Knieflex bis ~60°, Hüftflex ↑, 1–2 cm Bodenfreiheit
- Mittelschwung: Schwungbein passiert Standbein, Knie extendiert, Knöchel neutral
- Endschwung: Knie nahezu gestreckt, Knöchel neutral, Vorbereitung Fersenaufsatz
Frequenz, Schrittlänge und Effizienz
Geschwindigkeit = Schrittlänge × Schrittfrequenz. Frequenz zu erhöhen ist meist effizienter/sicherer als Überstride.
| Frequenz (spm) | Kategorie | Hinweis |
|---|---|---|
| 90–99 | Langsam | Unter moderater Schwelle |
| 100–110 | Moderat | 3–4 METs; ausgewogen |
| 110–120 | Zügig | Mod‑vigourös; Fitness |
| 120–130 | Hoch | Power‑Walking; 5–6 METs |
| 130–160 | Wettkampf | Elitetechnik nötig |
Bodenkontaktzeit
- Normal (4 km/h): ~300 ms
- Zügig (6 km/h): ~230 ms
- Sehr schnell (7+ km/h): ~200 ms
- Laufen: meist <200 ms + Flugphase
Doppelstützzeit
| Doppelstütz % | Klassifikation | Klinische Bedeutung |
|---|---|---|
| 15–20 % | Schnelles Gehen | Gesund, sicher |
| 20–30 % | Typisch | Normaler Bereich |
| 30–35 % | Vorsichtiger Gang | Mögliche Balance‑Sorge |
| >35 % | Erhöhtes Sturzrisiko | Intervention empfohlen |
Vertikalhub
- Normal: 4–8 cm (optimal ~5–6 cm)
- Exzessiv: >8–10 cm = Energieverlust
- Zu gering: <4 cm = Schlurfgang
Minimierung durch: Beckenrotation 4–8°, lateraler Shift 2–5 cm, Knieflex in Standphase 15–20°, Koordination Knöchel PF/DF.
Fortgeschrittene Komponenten
Armschwung
- Kontralateral (linker Arm mit rechtem Bein)
- Amplitude 15–20° vor/zurück; Ellbogen ~90° (Power‑Walk) bzw. 110–120° (normal)
- Hände entspannt, nicht über die Mittellinie
Fußaufsatzmuster
| Muster | Häufigkeit | Merkmale |
|---|---|---|
| Fersenaufsatz | ~80 % | M‑förmige Kraftkurve, ~10° DF |
| Mittelfuß | ~15 % | Flacher Aufsatz, geringere Impact‑Spitze |
| Vorfuß | ~5 % | Selten, eher im sehr schnellen Gehen |
Becken & Hüfte
- Rotation (transversal): 4–8° normal; 8–15° beim Wettkampfgehen
- Lateralkipp (frontal): 5–7° Absenken Schwungseite; Trendelenburg = Abduktorenschwäche
- Seitverschiebung: 2–5 cm zum Standbein (Balance)
Rumpfhaltung
- Aufrecht bis 2–5° Vorlage aus dem Sprunggelenk
- Kopf neutral, Schultern entspannt, moderater Core‑Einsatz
- Blick 10–20 m voraus
Wettkampfgehen
Regel 54.2 (World Athletics): Sichtbarer Bodenkontaktverlust verboten; vorderes Bein muss von Aufsatz bis Vertikal gestreckt sein.